Nathan der Weise Ringparabel – Interpretation

Nathan der Weise Ringparabel – Interpretation

Hier findet ihr eine hervorragende Analyse des Höhepunkts der Ringparabel aus dem Drama “Nathan der Weise” von Lessing.

Vielen Dank an Judith Götz aus der Q2!


Empfehlung:

Schaut euch die Ringparabel in dargestellter Form auf YouTube an und überlegt erstmal selber, was euch dabei alles einfällt! 🙂


Hier der Link: 

Ringparabel – Nathan der Weise

https://www.youtube.com/watch?v=GFF6qn3ZHKw




Nathan der Weise

Die zu analysierende Szene aus dem Ideendrama „Nathan der Weise“, veröffentlicht 1779 und uraufgeführt 1783, geschrieben von Gotthold Ephraim Lessing, behandelt den Höhe- und Wendepunkt der Ringparabel und somit die entscheidendste Szene des gesamten Dramas. Die Szene stellt die zentralen Prozesse der Selbsterkenntnis und Befreiung von der eigenen, selbstverschuldeten Unmündigkeit dar und ist charakteristisch für die Epoche der Aufklärung. Nathan fungiert als Aufklärer und führt den Sultan Saladin näher an die Frage bezüglich der Frage nach der richtigen Religion.

Die Szene, einschließlich der Ringparabel, stellt den Höhepunkt des Dramas dar. Zuvor hatte Nathan, der sich als gewissenhafter, rationaler, tugendhafter und aufgeklärter Mensch erweist, mit zwei Herausforderungen zu kämpfen. Zunächst ist das der Wunderglaube seiner Tochter Recha, welche kurz vor Nathans Rückkehr von einem jungen Tempelherrn, vermeintlich einem Engel, aus einem brennenden Haus gerettet wurde. Nathan lehnt diesen Wunderglauben ab und möchte dem Tempelherrn einen Dank erweisen. Dieser hegt jedoch antisemitische Vorurteile gegenüber Nathan, von welchem dieser ihn in einem Gespräch zu befreien versucht. Das aufklärende Gespräch mit Saladin, welches von der zu analysierenden Szene behandelt wird, findet in Saladins Palast statt, da Saladin sich in finanzieller Not befindet und von seiner Schwester überzeugt wurde, Nathan auf hinterhältige Weise um finanzielle Mittel zu bitten. Er täuscht die Frage nach der rechten Religion als einzigen Grund vor, Nathan in den Palast gebeten zu haben.

In Bezug auf die Ringparabel, welche ein Drama im Drama darstellt, ist die Szene der Höhepunkt. Nathan erzählt Saladin die Ringparabel, um ihn auf eine veranschaulichende Art und Weise den Sachverhalt zur Frage nach der rechten Religion näherzubringen. Im weiteren Verlauf schließen Nathan und Saladin Freundschaft. Das Ideendrama endet damit, dass alle Beteiligten bemerken, dass sie zu einer großen Familie gehören, in welcher Religionsangehörigkeit keine Rolle spielt. Sie versöhnen sich.

Die zu analysierende Szene beginnt mit Saladin, welcher sich betroffen abwendet. Dies zeigt zum einen die Reue und Scham, die Saladin empfindet, zum anderen den bereits begonnenen Prozess der Selbsterkenntnis., den Saladin im Verlauf der Szene durchlaufen wird. Er beginnt, sein eigenes Handeln zu hinterfragen. Saladin fordert Nathan auf, „mit [s]einem Märchen“ (V. 1957) fortzufahren, was zum einem die utopischen Ausmaße Nathans Ringparabel aufzeigt, zum anderen von Saladins Wille zur Freiheit, hier aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zeugt. Es drückt seine Neugier und Wissbegierde aus. Nathan entgegnet, er sei zu Ende, „denn was noch folgt versteht sich ja von selbst“ (V. 1958). Hier wird ein zentraler Aspekt der Aufklärung ausgedrückt, Nathan geht davon aus, dass jeder Mensch in der Lage ist, moralisch gutes Handeln zu erkennen und auszuführen. Dies beruht darauf, dass der Mensch ein vernunftgeleitetes Wesen ist und sich ohne Anleitung eines Anderen dieser Vernunft bedienen kann. Die eigentliche Wende zur Toleranz liegt also im Menschen selbst. In Nathans weiterer Erzählung stellt er die Machtkämpfe und Streitereien („man zankt“ (V. 1961)) unter den drei Brüdern dar. Mit der Metapher „Fürst“ (V. 1960) wird auf ihren Wunsch nach Macht, Status und Anerkennung verwiesen. Auffällig ist, dass Nathan die Streitereien in keinem Fall bewertet oder die Brüder deshalb degradiert, er nimmt ihr Verhalten als selbstverständlich hin. Diese Selbstverständlichkeit wird von der Anapher „man“ (V. 1962) untermauert, welche die Akzeptanz bzw. Toleranz Nathans aufzeigt. Der Toleranzgedanke ist hier von großer Bedeutung. Die Regieanweisung, in welcher Nathan pausiert und eine Antwort des Sultans erwartet, zeigt eine von Nathans Gesprächstechniken auf (vgl. V. 1963). Durch die Pause bekommt Saladin die Möglichkeit, das Gesagte zu hinterfragen und soll so zur Erkenntnis gebracht werden. Saladin ist in seinem Prozess der Selbsterkenntnis jedoch noch nicht so weit vorangeschritten, also unterstützt Nathan ihn und fährt fort. Der Verweis auf den rechten Glauben (vgl. V. 1964) stellt den Wechsel und die Übertragung in die Sachebene dar. Nathan weist Saladin darauf hin, dass der „rechte Ring“ (V. 1963), welcher nicht erweislich war, in seiner Metaphorik für die rechte Religion bzw. den rechten Glauben steht. Dies löst bei Saladin Bestürzung („Wie?“ (V. 1964)), Enttäuschung und Zorn („Das soll die Antwort auf meine Frage sein?“ (V. 1964)) aus. Er erkennt, dass die Frage nach der rechten Religion nicht aufgeklärt („nicht erweislich“ (V. 1964)) werden kann und somit an Bedeutung verliert. Daraufhin schämt er sich aufgrund der von ihm geführten Religionskriege, die nichts als Hass und Leid verbreiteten, und aufgrund seiner Vorurteile gegenüber andersgläubigen Menschen. Nathan verweist in seiner Rolle als Übersetzer der Bildebene in die Sachebene auf die Absicht Gottes („Der Vater“ (V. 1968)), die Religion unterschiedlich gut und zu unterscheiden zu machen („nicht zu unterscheiden“ (V. 1969). Er betont hierbei die Gleichwertigkeit aller Religionen. Laut Nathan ist der Absolutheitsanspruch einer Religion Gotteslästerung, da Gott die Macht abgesprochen wird, gleichwertige Religionen („Ringe“ (V. 1966) erschaffen zu können bzw. zu wollen („Absicht“ (V. 1968)). Alle Religionen sind außerdem gleichen Ursprungs („Vater“ (V. 1968)). Die Ringe (vgl. V. 1966) sind, wie bekannt, eine Metapher für die drei großen, monotheistischen Weltreligionen (Judentum, Islam, Christentum). Nathan geht in seiner Gesprächsführung verständnis- und rücksichtsvoll vor, so bietet er Saladin die Möglichkeit, sein Gesicht zu wahren und so in aller Intimität Erkenntnisse und Lehren aus Nathans Ringparabel zu ziehen (vgl. V. 1965-1969), obwohl beide von Saladins Religionskriegen und seinem Absolutheitsanspruch (Islam als einzig wahre Religion) wissen. Die Ringparabel als Utopie ist somit ein Gegenentwurf zur Wirklichkeit. Saladin droht, warnt Nathan, ihn nicht zu täuschen und zu degradieren (vgl. „Spiele nicht mit mir!“ (V. 1970)) und lässt so unbewusst seine eigene Verletzlichkeit und Unsicherheit erkennen. Im Prozess der Aufklärung verlässt Saladin seine eigene Komfortzone und erweitert seinen Horizont. Da ihm dieser fremd ist, fühlt er sich unwohl und nimmt, trotz seiner Machtposition als Sultan, im Gespräch die untergeordnete Rolle ein. Dies zeigt auch der höhere Redeanteil Nathans. Der Sultan ist dem aufgeklärten Nathan intellektuell unterlegen und lässt sich von diesem zur Selbsterkenntnis begleiten. Der Fakt, dass er die untergeordnete Rolle annimmt, zeugt jedoch von seinem Willen zur Wahrheit. Nathan fährt fort und begründet, dass die Religionen trotz gleichen Ursprungs unterschiedlich ausgeprägt sind (vgl. V1975f.). Dies tut er, indem er eine Menge von (rhetorischen) Fragen aufwirft, die sich der Sultan selbst zu beantworten hat (vgl. V. 1977-1990). Diese Gesprächs- und Fragentechnik wird Mäeutik genannt, gas Gebären von Gedanken. Nathan zeigt auf, dass alle Religionen, so wie sie sind, in ihrer Richtigkeit existieren. Hierzu weist er darauf hin, dass die kulturellen Religionen im Gegensatz zur natürlichen Religion auf geschichtlichen Überlieferungen („Geschichte“ (V. 1975)) beruhen und von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Der Fakt, dass Religion uns von denen übermittelt wird, die uns zu Beginn unseres Lebens am nächsten stehen, den Eltern, verdeutlicht, welche große Bedeutung Religion für den Einzelnen haben kann. Sie ist mit liebevollen Erinnerungen, tiefgründigen zwischenmenschlichen Beziehungen und rein positiven Gefühlen wie Liebe, Geborgenheit und Zugehörigkeit verknüpft. Die Metapher „Blut“ (V. 1981) verdeutlicht die familiäre Bindung. Nathan sieht es als selbstverständlich an (hier zeigt sich wieder der Toleranzgedanke), dass kein Individuum an der eigenen Bildung, Erziehung und Kultur, an welcher Religion teilhat, zweifelt. Die Erziehung eines jeden Individuums bildet das Fundament des Lebens. Es ist also keinem vorzuwerfen, dass er sein eigenes Fundament nicht in Frage stellt (vgl. v. 1985-1989). Absolut niemand hat das Recht, dies von einem zu erwarten. Dies wird von der Wiederholung des Satzes „oder umgekehrt“ (V. 1986, 1989) verdeutlicht. Nathan erkennt, dass die Suche nach der Wahrheit immer nur eine Annäherung an die eigentliche Wahrheit ist, und von den eigenen Ansichten abweichende, in diesem Fall Ansichten Andersgläubiger, nicht über keinen Wahrheitsgehalt („Lügen“ (V.1988) verfügen. Die letzte Regieanweisung (vgl. V.1990) lässt das Erreichen des Ziels der Selbsterkenntnis  Saladins erkennen.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die zu analysierende Szene den Prozess Saladins zur Selbsterkenntnis zeigt. Nathan nutzt einige Gesprächstechniken wie die Mäeutik oder die Veranschaulichung komplizierter Sachverhalte. Er ist aufgeklärt und unterstützt Saladin auf seinem Weg. Er funktioniert als Übersetzer (vgl. V. 1958-1961) und lebt den Toleranzgedanken. Mithilfe verschiedener Metaphern („Ringe“ (V.1966), „Blut“ (V.1981)) wird die Frage nach der rechten Religion veranschaulicht und gelöst. Die Frage verliert an Bedeutung. Es wird deutlich, dass der Absolutheitsanspruch jeder Religion moralisch verwerflich ist.

2.Aufgabe

In der analysierten Szene lassen sich viele Motive und Forderungen der Epoche der Aufklärung wiederfinden. Die Aufklärung wird von Kant als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ beschrieben. Dieser Prozess wird im Selbsterkenntnisprozess Saladins sichtbar. Nathan macht öffentlichen Gebrauch seiner Freiheit, das heißt, er bedient sich öffentlich, in Begleitung des Gelehrten, seines eigenen Verstands (vgl. V. 1974-1990). Ebenso werden in der Szene einige zentrale Forderungen der Aufklärung sichtbar. Die Freundschaft als Ideal: Nathans Gesprächsführung mit Saladin zielt darauf ab, diesen nicht zu kränken (vgl. V. 1965-1970), am Ende des Gesprächs schließen sie sogar Freundschaft. Der Kampf gegen Vorurteile: Saladin ist zu Beginn der Ringparabel mit Vorurteilen behaftet, von welchen Nathan ihn zu befreien versucht. Kritik am Absolutheitsanspruch: Nathan zeigt auf, dass es nicht die eine richtige Religion geben kann (vgl. V.1960, „nicht erweislich“ (V.1962)). Im Allgemeinen zielt die Aufklärung auf die Emanzipation des Einzelnen ab, wie hier sichtbar wird. Als Alternative zu den Weltreligionen wir die natürliche Religion (Deismus) vorgestellt. Demnach gibt es zwar einen Gott, er greift jedoch nicht aktiv in das Weltgeschehen ein. Dies ist gleichzeitig einen Kritik an dem Offenbarungsglauben und den christlichen Dogmen und steht in Kontrast zum Fatalismus.

Thomas Koch

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